FÜR NEUE MUSIK ZÜRICH
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07.10.1999  20:00  Kunsthaus Zürich Vortragssaal

ensemble für neue musik zürich

Hans Peter Frehner/Flöte
Hansruedi Bissegger/Klarinette
Urs Bumbacher/Violine
Samuel Brunner/Violoncello
Viktor Müller/Piano

Gäste:
Lorenz Haas/Percussion
Markus Hochuli/Gitarre solo
Monika Clemann/Viola
Dirk Amrein/Posaune
Bill Gilfry/Trompete
Johannes Schöllhorn/Sprecher

Leitung/Jürg Henneberger


Bruno Stöckli
„Getönt“ UA
Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello, Piano, Percussion

„Rest“ UA
Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello, Piano

Johannes Schöllhorn
„berstend-starr“
Flöte, Klarinette, Violine, Viola, Violoncello, Piano, Percussion¨

Damenstimmen
für Sprecher und Klavier

„Tiento“ EA
Gitarre solo, Flöte, Klarinette, Trompete, Posaune, Piano, Violine, Violoncello


Bruno Stöckli

Bruno Stöckli (1960) studierte am Konservatorium Zürich Horn, Klavier
und Bratsche. Er absolvierte die Kapellmeisterausbildung an der Musik-
Hochschule Basel und studierte Orchesterleitung u.a. bei Antal Dorati,
Horst Stein und Lothar Zagrosek. Parallel dazu besuchte er Kompositions-
kurse bei H.U.Lehmann und nahm an Kompositions-Workshops von
Mauricio Kagel und Luciano Berio teil. Er erhielt mehrere Auszeichnungen
für seine Tätigkeit als Komponist sowie als Dirigent.

„getönt“
Flöte, Bassklarinette, Violine, Violoncello, Klavier Percussion
gewidmet dem ensemble für neue musik zürich von Bruno Stöckli

Nr. 1 Qin
Nr. 2 Augenblick
Nr. 3 Flatterbinse
Nr. 4 36 Dinge
Nr. 5 Zwei Albumblätter für Yaoshan Weiyan (751 – 834)
Nr. 6
Nr. 7 Gruss an A. Webern (1883 – 1945)
Nr. 8 für W. Schulze (1913-1951)
Nr. 9
Nr. 10


„Rest“
Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello,Piano

Nr. 1 – 4



Pause



Johannes Schöllhorn
Geboren 1962 in Murnau, studierte bei Klaus Huber, Emanuel Nunes und Mathias Spalinger Komposition, Musiktheorie bei Peter Förtig und besuchte mehrere Dirigierkurse bei Peter Eötvös. Er erhielt mehrfach Preise und Auszeichnungen bei Kompositionswettbewerben und war Stipendiat der H. Strobel-Stiftung des SWF, der Gaudeamus Foundation und der Kunststiftung Baden Württemberg. Er unterrichtet Komposition, Musiktheorie und Kammermusik an der Musikhochschule Winterthur und ist Leiter des Ensembles für Neue Musik an der Musikhochschule Freiburg. Erhielt Aufträge von „ensemble recherche“, Ensemble Modern,franz. Kulturministerium, WDR, ensemble intercontemporain

„berstend-starr“
Flöte, Klarinette, Violine, Viola, Violoncello, Piano, Percussion

Das Dilemma jeden Veruschs, schnelle Bewegung fotografisch sichtbar zu machen, ist bereits unlösbar im Prinzip der Fotografie angedeutet. Denn Fotografieren ist ein bildliches Festmachen von Abläuten. Ab surderweise werden also Geschwindigkeit oder Bewegung am Besten dadurch ersichtlich, dass sie >eingefroren < werden.
(du – die Zeitschrift der Kultur: Geschwindigkeit – der
überhitzte Augenblick)
Das Begriffspaar „berstend-starr“ bildet den Ausgangspunkt der Arbeit. Die inneren Spannungen des Titels, die gegensei-tige Abhängigkeit der Begriffe „berstend“ & „starr“ wurde durch eine regeltreue, aber den ungeschriebenen Gesetzen der Boulezschen Asthetik entgegenstehende Interpretation zum Gegenstand des Stücks. Verletzt werden diese Gesetze nicht durch simples Nichtbeachten, sondern es werden aus dem Material Dinge hervorgelockt, die scheinbar nicht darin stecken und dem ungeschriebenen Regelwerk offenkundig widersprechen. Ziemlich pauschal formuliert war dabei das Ziel der Arbeit, die „Starre“ der Boulezschen Vorlage durch „Starre“ zum „Bersten“ zu bringen, ähnlich wie in C.D. Friedrichs „Eismeer“ die Eisschollen so zusammengepresst werden bis sie zerbrechen. Dabei treffen sich Komponist und Bearbeiter auf imaginäre Weise, widersprechen und bestätigen sich, - oder gehen einfach aneinander vorbei. Dazu tritt eine weitere Person, Andre Breton, der nicht nur über sein Begriffspaar „berstend-starr“ zu einem Katalysator der Arbeit wurde, so dass endlich sich wohl circa dreierlei Asthetiken im Stück finden lassen:
„Wie können wir wissen, wovon der Schatten ein Schatten ist?“
H. Wittgenstein)

„Damenstimmen“
für Sprecher und Klavier

„(...) Sie sass unter ihrem von Picasso gemalten Portrait in der Rue de Fleurus und erzählte ausgiebig, die Strümpfe bis auf die Knöchel heruntergerollt, eine prachtvolle, feierliche Kamee an ihrem prachtvollen, feierlichen Busen, so, solide und selbstsicher wie ein Fels, mit einem Gesicht, das >nahezu< unvergänglich war. Als eine der ersten hatte sie Picasso und die Musik Schönbergs und Mahlers gewürdigt. Jetzt gestand sie „eine Schwäche für Hemingway“ und, in geringerem Masse, für die liebenswürdige Geschmeidigkeit Sherwood Andersons ein. Sie umgab sich mit unbekannten Jungen, die literarische Ambitionen hatten. In erster Linie förderte sie sich selbst. So sagte sie: „Ich und Jenry James....“
Djuna Barnes – Klagelied auf das linke Ufer, in:
Paris, Joyce, Paris)



„Tiento“
für Gitarre solo, Flöte, Klarinette, Trompete, Posaune, Piano, Violine, Violoncello

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts fand die noch junge Entwicklung der „reinen“ Instrumentalmusik im Prinzip der Fantasie (wie bei der Fuge kann man bei der Fantasie weniger von einer äusserlich festen Form als von einem durch das ganze Stück wirksamen Prinzip sprechen) zu einen wichtigen Höhepunkt. Vor allem die Fantasien über die Töne des Hexachords (mit dem cantus firmus „ut re mi fa sol la“) und anderen häufig auftretenden cantus firmus eröffneten sich dem Komponisten ungeahnte, neue Möglichkeiten.
Im Zentrum meines Stücks steht zunächst der Begriff des „tiento“ (span., von tenar befühlen, tasten, suchen): die leichte Berührung der Saite, des Instruments, der Instrumente untereinander und – damit zusammenhängend – die verschiedensten Transformationen gitarrentypischer Artikulationsweisen. Vom Soloinstrument Gitarre, dessen Klangfarbe eine Brücke zur Lautenmusik der Spätrenaissance bildet, ist die gesamte Faktur der übrigen Instrumente abgeleitet. Sie wird zum beweglichen Zentrum des Ensembles, von dem unterschiedlichste Fäden zu den übrigen Instrumenten gespannt werden.
Für „tiento“ wurde eine ältere Komposition quais als cantus firmus aufgegriffen und neu ausgearbeitet. Zwei Aspekte der Fantasie treten dabei in den Vordergrund: zum Einen sind die Formteile des Stücks auf historische Fantasie-Vorlagen bezogen (zum Beispiel von John Dowland, John Bull oder Robert Parsons). Diese bilden
„Referentiale“, zu denen sich das Stück auf sehr unterschiedliche Weisen in Beziehung setzt: von der Uebernahme eines Aspekts bis hin zum wörtlichen Zitat. Andererseits gibt es eine prinzipielle Beziehung, da das Stück mit der Spannung zwischen der Freiheit des Einfalls und der kunstvollen Regelbefolgung, die für die Fantasien der Spätrenaissance charakteristisch ist, arbeitet.
9. April 2024
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