FÜR NEUE MUSIK ZÜRICH
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20.05.2011  20:00  Zürich, Kulturmarkt
21.05.2011  20:00  "

MEMENTO MORI – Ouverture für tote Schweizer

Strukturell offen, asystemisch, indramaturgisch, leise, staubig, loyal, verschwindend, infektiös


MEMENTO MORI – Ouverture für tote Schweizer
Komponiert von Christoph Coburger und Sebastian Gottschick
Nach einer Installation von Christian Boltanski

ensemble für neue musik zürich:

Flöten Hans Peter Frehner
Klarinetten Manfred Spitaler
Horn Lorenz Raths
Klavier/Keyboard Viktor Müller
Schlagzeug Lorenz Haas
Violine Urs Bumbacher
Violoncello Nicola Romanò
Kontrabass/Stimme Anna Trauffer
Gitarren Philipp Schaufelberger

Sprecher Christian Wittmann
Gesang Jeannine Hirzel

Musikalische Leitung/Komposition Sebastian Gottschick
Konzept/Komposition Christoph Coburger

Videodokumentation Astride Schlaefli
Audiodokumentation Philipp Schaufelberger
Videoproduktion Jela Hasler

Produktion ensemble für neue musik zürich
Produktionsleitung Hans Peter Frehner
Organisation Elisabeth Märkli


Nach Texten von

T.W Adorno Beethoven – Philosophie der Musik
Lautréamont Die Gesänge des Maldoror
Lennon/Mc Cartney Eleanor Rigby, I`m only sleeping, she`s leaving home
M. Feldman Vorträge in Middelburg
Silvio Gesell Die Freiwirtschaft
J.W.von Goethe Anweisungen für Schauspieler
Pierre Joseph Proudhon Organisation des Kredits und der Circulation und
Lösung der sozialen Frage
Walt Whitman Leaves of Grass
Brian Wilson Caroline, no
Slavoij Zizek Zeit der Monster
Adalbert Stifter Kinder lieben den Schnee

Mit Musik von

Johann Sebastian Bach, Bela Bartók, Ludwig v. Beethoven, Christoph Coburger, Doors,
Sebastian Gottschick, Karl Amadeus Hartmann, Charles Ives, Lennon/McCartney, Robert Schumann,
Richard Wagner, Brian Wilson


Die Projektionen sind Reproduktionen einiger von Christian Boltanski für die Installation „Les Suisses morts“ verwendeter Bilder aus Traueranzeigen in der Zeitung »Le Nouvelliste du Valais«.


Das „Collateral Murder – Wikileaks – Iraq“ – Video ist ohne Tonspur aus YouTube kopiert und beschnitten.


Die Form folgt „Weekend“ von J.L. Godard.


Wir danken für die Unterstützung:
Alfred und Ilse Stammer – Mayer Stiftung, Bildwurf, Hat Hut Records Ltd., Gönnerinnen und Gönner

Stadt Zürich Kultur, FACHSTELLE KULTUR KANTON ZÜRICH, ERNST GÖHNER STIFTUNG,
Fondation Nestlé pour l’Art, DRS 2 (Mitschnitt am 21.5.2011)



Ein Teich banalisierter Ikonostasen aktueller Musik der letzen 500 Jahre. Ein szenisches Konzert für dreizehn Bühnenmenschen. Ein gefundenes Kulinarium zuverlässiger Fraktale ohne Lokal. Internationale Disziplin stellt sich interdisziplinärer Notation. „Die toten Schweizer“ sind lebendige Portraits aus Musik, bildender Kunst und Schauspielerei, die das ensemble für neue musik zürich verkörpert.

Die Stammformation, das Sextett aus Flöte, Klarinette, Klavier, Percussion, Geige und Violoncello, wird erweitert um Jeannine Hirzel (Mezzosopran), Anna Trauffer (Kontrabass, Gesang), Christoph Coburger (Komposition, Konzept), Sebastian Gottschick (Komposition, Viola, musikalische Leitung), Lorenz Raths (Horn), Philipp Schaufelberger (Gitarre) und Christian Wittmann (Schauspiel).

Die Akteure lieben die versteckten, schlecht beleuchteten Winkel, unter Treppen und in Abstellkammern. Bevorzugt werden vermeintlich kindliche Mittel, mit deren Hilfe die Bezauberung und der Schrecken virtuoser Musik sowie ihre geistig-mathematischen Hintergründe natürlich überfragt werden. Das Beiläufige wird zur Hauptsache. Der Konzertraum tönt von Erinnerungen. Der Zuhörer kann das Treten auf Lebendigem, bei aller Vorsicht, nicht vermeiden. Die Toten der Lieder der Kinder klingen schattenhaft. Sie erinnern sich der ersten Stunden in Mahlers Atelier.

„Wir erleben ambivalent, zugleich lächerlich und traurig. Da gibt es keine Tricks und nichts Makabres. Wir wandern in Fluten genauester Handlungen und führen sie unter freiesten Bedingungen auf. Kein Konzert gleicht dem anderen. Uns selbst befragend und in Frage stellend, vermeiden wir endgültige Aussagen und enthalten uns fertiger, definitiver oder definierter Arbeit. Das Erlebnis des Nichthaftenden, des Vorläufigen und Vorüberhuschenden, das wir im Sinne eines magisch-melancholischen Varietés in der Schwebe zu halten versuchen soll produktiv werden.“

Die Musiker sind Leichenfledderer. Sie sorgen für Entseelung und Entleiblichung von Musik als Natur und verwertbarem Ereignis. Sie lichten ab, verfälschen und destrukturieren. Was sie spielen, wäre sonst nie gehört worden und wird auch nie wieder gegeben. Sie schützen Biographien um den Preis ihrer Wiedererkennbarkeit. Die Menschen hinter den Lebensläufen der Toten (Schweizer) meint man alle schon gesehen zu haben als Verwandte, Kollegen, Nachbarn, als geschätzte, gemiedene oder gleichgültig akzeptierte Mitmenschen, ihre Musik auch schon viele Male gehört zu haben, als Wolff, Mozart, Pepping, Bartók oder Xenakis als geliebte, nötige und einsehbare Komponistenspektakel.

Es gibt überhaupt keinen Grund dafür, dass Schweizer sterben sollten. Es trifft aber jeden von ihnen. Alle sind sie verschieden und gleich ohne Ansehen von Alter, Reichtum und Schönheit, wie im mittelalterlichen Totentanz der alle Stände mitreißt. Wir erleben ein leises Inferno. Je länger man hinsieht desto windiger wird es. Variationen des Schauens, Lachens, Starrens, der Lustigkeit und des Ernstes, des Laut- und Leiseseins trudeln vor sich hin. Poesie in der Ästhetikkirche. Hochamt der Narren.

Trailer von Astrid Schlaefli:

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9. April 2024
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