FÜR NEUE MUSIK ZÜRICH
Archiv

ARCHIV

01.11.2012  20:00  Zofingen, Alass, Pfistergasse 54
02.11.2012  20:00  Zürich, Kunstraum Walcheturm, Kanonengasse 20
03.11.2012  20:00  "
04.11.2012  17:00  Luzern, Theater Pavillon, Spelteriniweg 6
15.02.2013  20:00  Köln, Alte Feuerwache, Melchiorstrasse 3
16.02.2013  19:00  Hamburg, Freie Akademie der Künste, Klosterwall 23
17.02.2013  20:00  Berlin, Ackerstadtpalast, Ackerstrasse 169/170

Sascha Lino Lemke (*1976)
Concerto a sei UA
per violoncello concertante e cinque strumenti (2012, für Nicola Romanò)

Sebastian Gottschick (*1959)
„Entreacte I“ (Umbaumusik)

Philippe Racine (*1958)
En attendant l'aube UA
Concerto pour flûte et petit ensemble (2012, für Hans-Peter Frehner)

Sebastian Gottschick
„Entreacte II“
(Umbaumusik)
nach der Fantazia Upon One Note von Henry Purcell

Bruno Stöckli (*1960)
what/now/next UA
für Klarinette und kleines Ensemble (2012, für Manfred Spitaler)

ensemble für neue musik zürich
Hans-Peter Frehner, Flöte
Manfred Spitaler, Klarinette
Viktor Müller, Klavier
Lorenz Haas, Schlagzeug
Urs Bumbacher, Violine
Nicola Romanò, Violoncello
Sebastian Gottschick, Leitung



www.altefeuerwachekoeln.de

www.akademie-der-kuenste.de

www.ackerstadtpalast.de


Sascha Lino Lemke
Concerto a sei


I. Decadimento
Grundfigur des ersten Satzes ist der Zerfall von Energie. Das Ensemble gebärdet sich zunächst wie eine plumpe Maschine, die im Gleichschritt in schnellem Puls regelmäßig repetierend und lärmend daherkommt. In der Folge zerfällt diese Ausgangsgeste trotz mehreren erneuten Versuchen des Aufbäumens, die Räder der Maschine ermüden immer wieder, laufen nicht mehr synchron. Das Cello setzt diesen maschinellen Tuttipassagen die eigene persönlichere Motorik des Solisten entgegen. Zur zweiten Hälfte des Satzes hin verwandelt sich die schnelle lärmende Wiederholung des Anfangs in Akkordrepetitionen mit Decrescendo, eine Art Kathedraleneffekt, als würde ein Akkord in einem riesigen halligen Raum gespielt, worauf der Raum regelmäßig immer leisere Echos zurückwirft, bis der Klang nicht mehr zu hören ist. Diese Idee bestimmt die zweite Hälfte. Die Harmonik des gesamten Satzes orientiert sich an Experimenten mit Akkorden, deren Töne in gleichen Hertzabständen stehen, häufig werden die Abstände graduell verändert, praktisch hörbar dann als Glissandi.

II. Intonazione . Intermezzo
Aus der Barockzeit existieren Berichte, dass die improvisierten Orgelvorspiele vor der Kirchenkantate einen praktischen Hintergrund hatten: Während der Organist über Elemente der folgenden Komposition improvisierte, stimmten die Instrumentalisten ihre Instrumente nach der Orgel ein. Der zweite Satz baut ebenfalls eine aus Elementen der anderen Sätze zusammengesetzte quasi improvisative Fantasie, in der die Bassklarinette als cantus firmus in sehr breiten Notenwerten den Streichern die Töne ihrer leeren Saiten zum Nachstimmen angibt.

III. Capriccio luminoso
In der Tradition der virtuosen Capriccen Paganinis erforscht der dritte Satz Spielfiguren der Naturflageolets des konzertierenden Cellos. Die leeren Saiten des Cellos sind so gestimmt, dass sie die Naturtöne 3, 5, 7 und 11 eines Obertonspektrums von ES ergeben. Spielt man ein Arpeggio über die vier leeren Saiten, dann ergibt sich also ein Obertonspektrum von ES. Aufgrund der Technik der Naturflageolets lässt sich dieser Klang virtuos transponieren, so dass weitere Spektren auf anderen Grundtönen möglich sind, oft auch in für das Cello normalerweise kaum spielbaren Lagen. Das Aneinanderschneiden dieser arpeggierten Spektren, die von den anderen Instrumenten dann um weitere Obertöne ergänzt werden, ist die Grundidee dieses Satzes, wobei der Cellist nach einem olympischen schneller, höher, weiter sich in immer höhere immer schwierigere Transpositionen dieses Akkordes bewegt, um dann schließlich frustriert abzustürzen. Rhythmisch basiert der Satz auf einem schnellen Puls. Durch wechselnde Betonungsmuster entsteht der Eindruck wechselnder Tempi und Phrasenlängen.

IV. Elegia - […la mort, Machaut…]
Der trotz einiger leidenschaftlich klagenden, absackenden, lauteren Passagen recht melancholische vierte Satz enthält Spuren einer Ballade von Fransiscus Andrieu aus dem Codex Chantilly, der "Bibel" der sog. ars subtilior (Ende 14. Jhd.). Andrieu hat sie als Klagegesang auf den Tod des großen Dichters und Komponisten Guillaume de Machaut geschrieben. Nachdem Cantus I & II erst verschiedene Texte polyphon gegeneinander gesungen haben, deklamieren sie zusammen homophon : "La mort, Machaut", eine schöne Stelle, bei der d-Moll und cis-Moll auf dramatische Weise mit den typischen wunderbaren Quintparallelen aufeinander folgen. Diese Klänge geistern durch den verraucht/verrauschten vierten Satz. Irgendwie musste das Stück für mich mit der Überleitung Bruckners zum Seitenthema des langsamen Satzes der Siebten enden, mikrotonal leicht verzerrt, auf diesem Dominantseptakkord mit tiefalterierter Quint endend, in Erwartung eines Themas, das aber nicht mehr kommt…

V. Toccata e Rondo - […la machine et la malherbe…]
Der Finalsatz beginnt rhythmisch und tänzerisch, eine Art hölzerner Rhythmusmaschine, die ihre Rhythmen aus allerlei kreuz und quer aus dem Ensemble kommenden Geräuschen zusammenkompiliert. Die Syntax und Form entsteht zunächst aus der Zusammenstellung einiger Worte aus Texten Deleuzes, die mir in Bezug auf die Dramaturgie des Satzes oberflächlich passend schienen, oberflächlich, da sie nicht unbedingt der ursprünglichen Intention des Autors benutzt werden. Es handelt sich jedoch nur um eine persönliche Arbeitsweise, keine "Vertonung", der Text als solcher muss nicht direkt erkannt werden. Jedoch erzeugt das Vorgehen ein reizvolles Gewebe von hörbaren Querverbindungen erzeugt. Der Satz funktioniert wie eine komplexe Maschine, zusammengesetzt aus mehreren kleineren Maschinen, die alle ihre eigene interne Logik haben. Sie fördern zahlreiche direkte Wiederholungen sowie die wörtliche Wiederkehr kleiner Phrasen zutage, so dass das Hören dem Gang durch ein Labyrinth ähnlich wird - eine Art multiples Rondo mit fraglichem Thema. Diese abstrakt logischen Vorgänge werden jedoch immer wieder korrumpiert durch allerlei Unkraut, dass sich zunehmend in der Maschine einnistet, vielfach wörtliche Zitate oder Allusionen von Klängen oder Passagen anderer Sätze des Konzerts. Zuguterletzt zerschlagen Akzente des ersten Satzes die ursprüngliche Musik des letzten Satzes und überwuchern alles.

Philippe Racine
En attendant l’aube


Konzert für Flöte und kleines Ensemble
En attendant l’aube (Warten auf die Morgendämmerung) ist ein Nachtstück. Dunkel, verträumt, schlaflos, unruhig, selig, voller Alpträume und wirren Vorstellungen, regungslos, ruhig tief atmend, wartend auf Licht...

Bruno Stöckli
what/now/next


what now?
what next?
what what?

now what!
now next!
now now!

next what.
next now.
next.

***

SASCHA LINO LEMKE 1976 in Hamburg geboren. Studium in Musiktheorie, Komposition und Computermusik sowie Diplommusiklehrer an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, dem EULEC Lüneburg und dem Conservatoire national supérieur de musique et de danse de Paris (CNSMDP); Kompositions- und Computermusikkursus des Institut de recherche et coordination acoustique/musique (IRCAM) in Paris. 

Lehrbeauftragter für Musiktheorie, Gehörbildung, Analyse und Multimedia an den Hochschulen in Hamburg und Lübeck. 

Zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen: Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes, Kranichsteiner Stipendienpreis der Darmstädter Ferienkurse, Bachpreis-Stipendium der Stadt Hamburg, Dresdner MusikStipendium, Saarbrücker Komponistenwerkstatt, 1. Preis der European Live-Electronic Competition der ECPNM, Stipendium der Bundeskulturstiftung bzw. der Academia tedesca/Villa Massimo für die Casa Baldi in Italien, Hindemith-Preis 2010. 

Auftragswerke/Aufführungen u.a. bei musica viva (München), Münchener Biennale für zeitgenössisches Musiktheater, Darmstädter Ferienkurse, Klangwerktage (Hamburg), IRCAM (Paris), ICMC (International Computer Music Conference), Festival musica (Strasbourg), Forum der Künste Hellerau, ZKM Karlsruhe, Gaudeamus Music Week (Amsterdam), Musica viva festival (Lissabon), Automn Festival (Talinn), Norddeutscher Rundfunk, Seoul International Computer Music Festival (SICMF), dem Shanghaier Frühlings-Festival und in den USA.

PHILIPPE RACINE (1958) studierte Musik in Basel und Paris und gehört zu den vielseitigsten Musikern seiner Generation. Als Flötist mit internationalem Ruf ist er nicht nur ein brillanter Interpret des traditionellen Repertoires, sondern ein leidenschaftlicher Verfechter der zeitgenössischen Musik. Philippe Racine konzertiert als Solist und Kammermusiker in ganz Europa, Kanada, den USA, Lateinamerika und im Mittleren Osten. Er ist Mitglied des Collegium Novum Zürich und unterrichtet eine Flötenklasse an der Musikhochschule dieser Stadt.
Anerkannt sind auch seine Qualitäten als Komponist. Sein Schaffen – in grosser musikalischer Vielfalt – geht von Kammermusik bis zu Solokonzerten mit Orchester. Man findet bei Philippe Racine Einflüsse von Charles Koechlin, bekannt für sein Verlangen nach Schönheit und Freiheit, aber auch eines Elliott Carter für die Schärfe seines musikalischen Denkens. Berühmte Solisten und Ensembles führen seine Werke auf. Erwähnt seien Brigitte Meyer, Eric Ferrand N’Kaoua, Ernesto Molinari, Ruben Drole, Edicson Ruiz, Ensemble Phoenix Basel, Basler Sinfonie-Orchester, Swiss Chamber Soloists, Collegium Novum Zürich. « Promenade », sein Konzert für Violine, gespielt vom französischen Solisten Raphaël Oleg, wurde am Lucerne Festival im September 2001 zu einem grossen Erfolg.

BRUNO STÖCKLI (1960) studierte am Konservatorium Zürich Horn, Klavier, Bratsche und absolvierte die Ausbildung zum Kapellmeister an der Musikhochschule Basel. Er studierte Komposition bei H. U. Lehmann und nahm an Kompositions-Workshops von Mauricio Kagel und Luciano Berio teil. Seit vielen Jahren arbeitet er mit dem ensemble für neue musik zürich und dem Ensemble Theater am Gleis TaG in Winterthur zusammen. Neben seiner kompositorischen Tätigkeit leitet er das Orchester Burgdorf und unterrichtet an der alten und neuen Kantonsschule in Aarau.
Diverse Konzertmitschnitte von Radio DRS II.
Seine Werke sind bei der Schweizerischen Musikedition SME verlegt.

Zurück
25. Februar 2024
© ensemble für neue musik zürich, Gutstrasse 89, CH-8055 Zürich
T +41 (0)44 383 81 81, M +41 (0)79 207 55 92
info(at)ensemble.ch, www.ensemble.ch/archiv/?det_id=280/