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20.12.2012 20:00 "
Forelle Stanley
Kammeroper von Daniel Fueter
Regie: Philip Bartels
Musikalische Leitung: Sebastian Gottschick
Korrepetition: Simone Keller
Libretto: Mona Petri
Bühne: Markus Schmid
Kostüme: Marion Steiner
Licht/Technik: Li Sanli
Gesang:
Rea Claudia Kost (Mezzosopran)
Jeannine Hirzel (Mezzosopran)
Michaela Unsinn (Mezzosopran)
Niklaus Kost (Bariton)
ensemble für neue musik zürich
Hans-Peter Frehner (Flöten)
Manfred Spitaler (Klarinetten)
Urs Bumbacher (Violine)
Nicola Romanò (Violoncello)
Viktor Müller (Piano)
Sebastian Hofmann (Schlagzeug)
Produktion:
stranger in company Ⓟ
Trailer von Janek Petri:
„Forelle Stanley“ ist das dritte Theaterstück der jungen kanadischen Autorin Claudia Dey und in vielerlei Hinsicht eine ideale Vorlage für die moderne Kammeroper, die Daniel Fueter für die dafür mitwirkenden Sängerinnen und Musiker komponiert hat. Die Geschichte von Grace, Sugar und Forelle Stanley lässt sich schwer nur einem Genre zuordnen: Boulevardeske Krimi-Passagen wechseln sich mit Szenen ab, die ein Psychogramm der beiden vom Schicksal aneinander geketteten Schwestern zeichnen.
Auch auf Ebene der Musik wird mit verschiedenen Stilen gespielt. Daniel Fueters Komposition bewegt sich zwischen Elementen der Populärmusik der achtziger Jahre, Pop- und Rockanklängen des zwanzigsten Jahrhunderts, Musicalstrukturen und zeitgenössischer klassischer Musik.
Oper Forelle Stanley
Realistische Szenen stehen neben solchen, die Züge des Absurden Theaters tragen. Darin besteht schon in der Vorlage von Claudia Dey ein grosser Reiz, der durch die Vertonung zusätzlich gewinnt, da die Musik auf noch ganz andere Art mit Genres spielen kann als das Theater. Ich glaube, dass man der „Forelle Stanley“ nur gerecht wird, wenn man nicht versucht, diese Uneindeutigkeiten zu glätten. Dabei besteht natürlich die Gefahr, dass als Ergebnis der Eindruck von Beliebigkeit und Nebeneinander überwiegt.
Die Musik hilft, dieser Gefahr zu begegnen, das Operngenre steht über dem Ganzen und bildet einen Zusammenhalt selbst bei sehr unterschiedlichen Themen des Stückes und ermöglicht es, die szenische Phantasie der Protagonisten bis an die Grenzen auszuloten.
Das Libretto ist hierbei mehr als nur eine kluge Strichfassung der Theatervorlage. Es verdichtet und rhythmisiert und führt mit der Erfindung von „Nummer Drei“ – der bei der Geburt verstorbenen Drillingsschwester – eine Figur ein, die während des ganzen Abends präsent ist, aber nicht auf der Bühne steht, und genau dadurch eine grosse Palette an Einsatzmöglichkeiten zur Verfügung hat: Sie ist Kommentatorin, Stimme aus dem Jenseits, übernimmt aber auch als Orchestermitglied rein musikalische Parts, ist für Alltagsgeräusche verantwortlich wie z.B. das Fernsehprogramm… Die Figuren a u f der Bühne: Ein Einzelgänger und symbiotische Zwillinge; im Vordergrund steht hier die Frage nach dem Umgang mit Einsamkeit und mühsam überwundenen Schicksalsschlägen.
Gegensätzliche, radikale Lebensentwürfe treffen aufeinander, das bisher gelebte Leben wird infrage gestellt. Gerade weil man mit dem Festhalten an einem über Jahre verteidigten Selbstbild seinem eigenen Glück im Wege steht, ist dies ein grosser Kampf mit ungewissem Ausgang.
Die menschliche Stimme im Orchestergraben, wie oben erwähnt, zeigt bereits, dass die Orchestermusik nicht einfach als Begleitung getrennt vom Bühnengeschehen für die Klangkulisse verantwortlich ist. Bei der Konzeption des Bühnenraumes war es uns deshalb wichtig, dieser Konstellation Rechnung zu tragen und eben keinen Graben zu bauen*. Der von Sugar und Grace bewohnte „Huis clos“ ist ein auf Stelzen gebautes Eigenheim aus wieder verwendeten Reklametafeln – sich erhebend über den schlammigen Boden der Wildnis und den Dreck der Müllkippe, auf der Grace als Aufseherin das Geld für beide verdient; aber eben auf morschen Füssen stehend, wackelig.
Drumherum, auf Höhe des festen Bühnenbodens, die Instrumentalisten und „Nummer Drei“, keiner von ihnen betritt das Bühnengerüst. Auf dem Boden der Tatsachen: Ein Schrottplatz (die grosszügige Verwendung von Schlagwerk in Daniel Fueters Komposition verstärkt diesen Eindruck auch optisch). Der Schutz, den eine Guckkastenbühne Opernsängern üblicherweise bietet, ist nicht gegeben, die Welt tobt rechts und links und hinter und unter ihnen. Sie können und sollen noch so schön singen, aber die Welt, in der sie singen, bleibt fragil, gefährdet, vorläufig.
Philip Bartels