FÜR NEUE MUSIK ZÜRICH
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25.02.2005  20:00  Zürich, Kunsthaus Vortragssaal
26.02.2005  20:00  Basel, Gare du Nord

Abendprogramm:
Jubiläumskonzert 20 jahre ensemble für neue musik zürich

Freitag, 25. Februar 2005 um 19.30 Uhr im Kunsthaus Zürich, Vortragssaal

ensemble für neue musik zürich
Hans-Peter Frehner Flöte
Hansruedi Bissegger Klarinette
Lorenz Haas Perkussion
Viktor Müller Klavier
Urs Bumbacher Violine
Nicola Romanò Violoncello
Sebastian Gottschick Viola
David Riniker Violoncello solo
Jürg Henneberger Leitung und Klavier


Jacques Wildberger „Quartetto“ für Fl,Kl,Vl,Vc,
Bruno Stöckli „Sieben Entretiens“ für Fl,Kl,Vl,P UA
Franz Furrer-Münch „Legenden/Melismen“ für Vc, Marimba und Perc UA
Johannes Harneit „Ehrfurchtgebietend“ für Sextett UA

Laudatio: Daniel Fueter

Hans-Peter Frehner „Waldvögelein II“ für Sextett UA
Noriko Hisada „Progression“ für Klavier EA
Bernd Alois Zimmermann „Sonate für Viola Solo ... an den Gesang eines Engels“
Jochen Neurath „ad-hoc I-III“ für Fl,Kl,VI,Va,Vc,P,Perc UA

Peter Regli Reality Hacking Nr.202/205/212/226

CD-Taufe: hat(now)ART 158
Dieter Ammann „Violation“ für Violoncello und Sextett


Jacques Wildberger
Geboren 3.1.1922 in Basel. Musikalische Ausbildung am Basler Konservatorium, anschließend Kompositionsstudien bei Wladimir Vogel. 1959-66 Dozent an der Badischen Hochschule für Musik in Karlsruhe (Komposition, Analyse und Instrumentation), 1967 Aufenthalt in Berlin als Stipendiat des DAAD, dann bis Herbst 1987 Lehrer für Komposition, Satzlehre, Analyse und Instrumentation an der Berufsabteilung der Musik-Akademie der Stadt Basel. Lebt in Riehen bei Basel. 1960 Preis des Lions Club Basel, 1965 Stereo-Preis der deutschen Rundfunkindustrie, 1981 Komponistenpreis des Schweizerischen Tonkünstlervereins, 1987 Kulturpreis der Gemeinde Riehen.

„Quartetto“ (1952) Fl,Kl,VI,Vc
Als Gesellenstück schrieb Wildberger 1952 das „Quartetto per flauto, clarinetto, violino e violoncello“, das im gleichen Jahr anlässlich der „Darmstädter Ferienkurse” uraufgeführt wurde. „Das Werk ist in der Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen komponiert, ohne dass mir dieser Systemzwang die Freiheit der Entscheidung aus der Hand nimmt. (J.W.)

Bruno Stöckli
Bruno Stöckli (1960) studierte am Konservatorium Zürich die Instrumente Horn, Klavier, Viola und absolvierte die Kapellmeisterausbildung an der Musikhochschule Basel bei Antal Dorati, Horst Stein, Lothar Zagrosek, Ralph Weikert und Wilfried Boettcher. Er studierte Komposition bei H. U. Lehmann und nahm an Kompositions-Workshops von Mauricio Kagel und Luciano Berio teil. Er erhielt mehrere Auszeichnungen für seine Tätigkeit als Komponist sowie als Dirigent. (U. a. Kompositions-Förderpreis des Schweizerischen Tonkünstlervereins, Werk- und Förderbeiträge des Kuratoriums des Kt. Aargaus, zweiter Preis am Kompositionswettbewerb der Ostschweizer Stiftung für Theater und Musik.)

„Sieben Entretiens“ (2004) Fl,Kl,VI,P
Mit Sebastian Bach (Polonaise aus dem Notenbüchlein für Anna Magdalena). Es dreht sich wieder mal alles um Permutationen. – Und wo von Spielformen die Rede ist, da ist auch Anton Webern nicht weit... Prompt huscht sein Schatten während des Gesprächs am Fenster vorbei.

Cajkovskij’s Transkription russischer Volkslieder für Klavier zu vier Händen ist meiner Ansicht nach eine Uebersetzertätigkeit – gerade so wie die erneute Transkription seiner Musik in unsere Zeit.

Carl Czerny: Niemand spricht seinen Namen mit heiligem Schauder aus. Aber es gibt kaum einen Pianisten, der nicht einige Sprossen seiner Karriereleiter aus echtem Czerny-Holz hätte.

Die Wiederholung in sich kreisender Motive zeichnet viele Musik von Franz Schubert aus. So auch diese Ecossaise, denen schnurrende Begleitung sich hier allerdings nicht mehr so recht mit den Rädchen der Melodie verzahnen will.

Antwort auf einen weiteren Schubert-Tanz, der sich auf die Exposition einiger Hornquinten beschränkt. Hornquinten: Schlüssel-Konstellation in der ein nicht unbeträchtlicher Teil seiner Musikgeschichte nachklingt.

Ein spätes Echo von William Bird’s Komposition für Virginal- oder unsere vage Erinnerung an sie.

Ausgangsmaterial dieses Stücks war ein Akkord aus „Hyperprism“ von Edgar Varèse. Seltsamerweise ist daraus ein Choral entstanden... Was aber den Vorteil hat, dass wir wieder bei Bach angelangt wären und der gewiss ehrenwerten Tradition eine Musik mit dieser Gattung zu beschliessen. (D.St.)


Franz Furrer-Münch
Geboren 1924.Musikalische Ausbildung am Koservatorium Basel. Naturwissenschaftliche Studien und Tätigkeit an der ETH Zürich. Musikwissenschaftliche Vorlesungenan der Universität Zürich (Prof.Dr.Kurt von Fischer, Paul Müller). Studienaufenthalte in Deutschland, u.a. Studio für elektronische Musik in Frei-
burg i.Br. und Bennington Vermont USA, Forschungstätigkeit am Electrooptical Sciences-Center State University of New York at Stony Brook N.Y. (1969/71). Freischaffend seit 1989.

„Legenden/Melismen“ (2004)
„Legenden/Melismen“ für Violoncello, Marimbaphon und Perkussion sind im übertragenen Sinn als Chriffren klanglicher Konstellationen (melische Dichtung) gemeint. (F.F.M)


Johannes Harneit
Geboren 1963 in Hamburg, studierte er Komposition bei Prof. Günther Friedrichs und Dirigieren bei Klauspeter Seibel an der Hamburger Musikhochschule. 1986 gewann er den 1. Preis beim Kompositionswettbewerb in Hitzacker. Zahlreiche Kompositionsaufträge unter anderem von der Hamburgischen Staatsoper, der alten Oper Frankfurt, dem NDR Hannover, der IGNM Basel und dem Ensemble SCHAROUN. Eine enge Zusammenarbeit verbindet ihn seit 1992 mit dem Ensemble Oriol (Berlin) und seit 1993 mit dem ensemble für neue musik zürich. 1990 war er einer der ersten Stipendiaten auf Schloss Solitude (Stuttgart).
Seit 1998 enge Zusammenarbeit mit den Regisseuren Christoph Marthaler und Herbert Wernicke im Grenzbereich des neuen Musiktheaters. Im Februar 2000 Uraufführung seines für Christian Tetzlaff geschriebenen Violinkonzertes mit dem SWR Sinfonieorchester Freiburg/Baden Baden unter Sylvain Cambreling, im April 2001 folgte die US-Premiere unter Ingo Metzmacher, 2001 Uraufführung der Kammeroper „idiot“ unter Jürg Henneberger im Theater Basel. Im Frühjahr 2002 im Rahmen des Festivals „Heidelberger Frühling“ wurde Harneit mit mehreren Werken porträtiert. Nach der Uraufführung des Eröffnungskonzertes begleitete dieses Werk die Künstler auf einer längeren Europatournee. Am 27. April 2002 die Live-Komposition „in vain“ im Schauspielhaus Zürich mit dem Klangforum Wien (Regie: Anna Viebrock, Leitung: Sylvain Cambreling). Am 7. Mai 2002 kam in Paderborn die Exposition für Orchester mit der Nordwestdeutschen Philharmonie Herford unter der Leitung von Sebastian Gottschick zur Uraufführung. Am 7. Juni folgten die Drei Intermezzi zu Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ beim Festival Feldkirch. Johannes Harneit lebt und arbeitet in Hamburg und ist seit der Saison 2001 Musikdirektor am Niedersächsischen Staatstheater in Hannover.
Seit Sommer 2002 werden seine Werke exklusiv von den Sikorski Musikverlagen Hamburg betreut.

„Ehrfurchtgebietend“ (2005)
freier Doppelkanon nach zwei Gedichtvarianten von Robert Walser .
Jürg Henneberger und dem ensemble für neue musik zürich zur Erinnerung an die langjährige Freundschaft gewidmet.
„Das ensemble für neue musik zürich und Jürg Henneberger waren die Ersten, die meine Lieder aufgeführt haben.“ (J.H.)


Hans-Peter Frehner
Geboren 1953.Seit 1974 kompositorische Arbeit. Autodidakt. Ich habe in langjähriger Arbeit mit dem „ensemble für neue musik zürich“ von all den aufgeführten Werken und der Zusammenarbeit mit vielen Komponisten und Komponistinnen aus zahlreichen Ländern viel gelernt und bin beeinflusst von guter U- und E-Musik aller Stilrichtungen.

Waldvögelein II (2004) Fl,Kl,VI,Vc,P,Perc.
Waldvögelein II ist eine Bearbeitung für Sextett meines Chorliedes Waldvögelein I (UA im Sommer 02 mit „vocativ zürich“), die ich dem „ensemble“ zum Zwanzigsten wünsche: in einem dreistimmigen Waldvögellied ein „Jödeli“ und ein paar „Söleli“, ein gemeinsames Nachsinnen über Vergangenes und ganz kurz zuallerletzt eine kleine Aufmunterung für zukünftige Taten....... (H.P.F.)


Noriko Hisada
Geboren 1963 in Tokyo. Bereits mit vier Jahren begann sie mit Klavierspielen, und im Alter von 15 Jahren mit dem Kompositionsunterricht. Sie studierte bei Joji Yuasa und Shigeaki Saegusa am Tokyo College of Music, an dem sie 1988 ihr Abschlussdiplom in Komposition erhielt und seither auch unterrichtet. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen: 1986 55th Music Competition of Japan, 3. Preis in Komposition; 1987 Nagoya Culture Promotion Prize; 1990 1. Preis beim Premio Valentino Bucchi; 1996 Moeck Verlag Preis beim Internationalen Kompositionswettbewerb Kazimierz Serocki für "Pursuit" für Violoncello und Streichorchester. Noriko Hisada ist Mitglied des Japanischen Komponistenverbandes und der Japanischen Gesellschaft für Neue Musik.

„Progression“ (1993)
Eine Ausschreibung der Japanischen Gesellschaft für Neue Musik mit der Aufgabe, ein Stück für Klavier Solo zur schreiben, war der Ausgangspunkt für diese Komposition. Die Dauer von zwei Minuten war vorgegeben. „Mich interessierte an dieser Aufgabe „Solo“ und „Kurzzeit“ und ich versuchte, die ganzen Ausdruckmöglichkeiten des Klaviers in eben zwei Minuten auszuloten.“ (N.H.)


Bernd Alois Zimmermann
Bernd Alois Zimmermann wurde am 20.3.1918 in Bliesheim bei Köln geboren. Nach 1937 studierte er an der Hochschule für Musik in Köln Schulmusik, Musikwissenschaft und Komposition bei Heinrich Lemacher und Philipp Jarnach. Von 1957 an leitete er eine Kompositionsklasse sowie ein Seminar für Film- und Rundfunkmusik an der Kölner Musikhochschule. Zimmermann war Stipendiat der Villa Massimo in Rom (1957 und 1963), erhielt 1960 den Großen Kunstpreis von Nordrhein-Westfalen, wurde 1965 zum Mitglied der Berliner Akademie der Künste ernannt und im Jahr 1966 mit dem Kunstpreis der Stadt Köln ausgezeichnet. Sein Werk umfasst Kompositionen für Orchester (u.a. eine Sinfonie, Ballettmusik und Solokonzerte), seine berühmte Oper "Die Soldaten" und andere Vokalwerke, Kammermusik, Sololiteratur sowie elektronische Musik. Die Premiere seiner Oper "Die Soldaten" (komponiert 1958 bis 1960 nach dem Prinzip der "pluralistischen Klangkomposition") im Jahr 1965 in Köln war ein sensationeller Erfolg. Ein weiteres weltweit bekanntes Werk ist das "Requiem für einen jungen Dichter" (1969 durch den WDR Köln uraufgeführt). Obwohl die Anzahl seiner Kompositionen überschaubar ist, hat sich Zimmermann mit seinem Schaffen eine Schlüsselposition in der Geschichte der deutschen Nachkriegs-Musik gesichert. Er absorbierte nicht nur die serielle Musik und die Strenge der Darmstädter Avantgarde, sondern kombinierte diese Einflüsse auch in einzigartiger Weise mit Jazz-Elementen und Zitaten historischer Komponisten - und zwar in einer Manier, die auf verblüffende Art und Weise Idee und Technik der Postmoderne vorwegnimmt. Am 10.8.1970 schied Zimmermann in Groß-Königsdorf bei Köln freiwillig aus dem Leben.

Sonate für Viola Solo (.... an den Gesang eines Engels) (1955)
Zimmermanns Sonate für Viola Solo entstand im Jahre 1955. Ihr Untertitel „... an den Gesang eines Engels“ lehnt sich an den des Bergschen Violinkonzerts an, das „Dem Andenken eines Engels“ gewidmet ist. Wie dort, steht auch hier am Ende ein Choral: „Gelobet seist du, Jesu Christ“. Das Stück basiert auf einer Zwölftonreihe, dessen zwei Hexachorde symmetrisch aufgebaut sind. Symmetrien, im Kleinen wie im Großen, im Rhythmischen und Melodischen, bestimmen die gesamte Sonate. Der Choral wird während der vielfältigen (streng organisierten, aber quasi improvisatorisch vorgetragenen) Verwandlungen der Reihe immer wieder bereits motivisch angedeutet und gewissermaßen immer mehr eingekreist. Am Schluß erscheint er in seiner Urgestalt und wird kunstvoll mit der Zwölftonreihe verwoben.


Jochen Neurath
Geboren 1968 in Celle. Kompositionsstudium in Berlin und Hamburg. Seitdem freischaffende Tätigkeit als Komponist, Dirigent, Pianist und Arrangeur. Lebt in Berlin.
Seit 2001 „Composer in Residence“ der Staatsoper Hannover, wo die Uraufführung der Oper „Agrippina“ für die Saison 2005/06 vorbereitet wird. 2001 Schauspielmusik zu Nicolas Stemanns „Orestie“-Inszenierung am Schauspiel Hannover. 2003 Mitarbeit und Mitwirkung bei Christoph Marthalers Projekt „Lieber Nicht“ an der Volksbühne Berlin.

Ad-hoc I-III (2004) Fl,Kl,VI,Va,Vc,P,Perc
Diese 3 Stücke sind für den realen Moment der Aufführung konzipiert und bewegen sich im Grenzbereich des Kreativen, den der Autor als Teil des kollektiven Komponisten NeuNoNeit auszuloten begann. (J.H.)

Peter Regli
Seit drei Jahren arbeitet Peter Regli mit dem ensemble für neue musik zürich an spartenübergreifenden Projekten. Bis heute sind aus dieser Zusammenarbeit fünf Werke entstanden. (RH Nr. 202, 205, 209, 212; 226). Drei Kompositionen wurden nach der Ur-Aufführung im Centre d'Art Contemporain Genf, (Juni 2003), in der Kunsthalle Winterthur (Nov. 2003) und im Centre Culturel Suisse in Paris (Dez. 2003) aufgeführt. Im Herbst 2004 eröffnete Reality Hacking mit dem ensemble für neue musik zürich das 25. Theater Spektakel Zürich mit der Uraufführung von RH Nr. 212. Im Auftrag der Hochschule der Künste Bern wurde für das 125. Jubiläum des Kunstmuseums Bern RH Nr. 226 realisiert. Weitere Projekte sind in Arbeit.

Reality Hacking Nr. 202/205/212/226


Dieter Ammann
Geboren 1962. Seit frühester Jugend musikalische Betätigung in Form von Hausmusik. Mit 5 Jahren erster Klavierunterricht, später auf autodidaktischem Weg Trompete, während des Gymnasiums (nebst Klavier) auch Gitarre. Ab 1982 Studium an der Musikhochschule Luzern. Parallel dazu 1983-84 Jazzschule Bern (allgemeine Abteilung), 1986 Aufenthalt in Berlin als freischaffender Musiker (v.a. improvisierte Musik), 1988-92 Studium für Theorie und Komposition an der Musikakademie Basel. Professur für Kompositionan der Musikhochschule Luzern. Ab 1990 Beginn der Kompositionstätigkeit, Meisterkurse bei W. Rihm, W. Lutoslawski, D. Schnebel, N. Castiglioni. In den 80er Jahren Auslandtourneen als sideman oder mit eigenen Formationen (z.B. Jazzfestivals Köln, Antwerpen, Willisau, Lugano etc.). Diverse Plattenaufnahmen. Diverse Auszeichnungen und Stipendien (zum Beispiel 1. Preis am int. Wettbewerb „Young composers in Europe“ Leipzig, 1. Preis am Kompositionswettbewerb „Niederrheinischer Herbst“. Hauptpreis am „International Competition for Composers“ (in honor of Luciano Berio) der IBLA-Foundation New York, Franz Liszt-Stipendium der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ und der Weimar 1999 Kulturstadt Europa GmbH) u.a..Schreibt wenig, weil langsam.

„Violation“ (1999)
Violoncello Solo, Flöte,Klarinette, Violine, Violoncello, Piano, Percussion
(Auftragswerk von ensemble für neue musik zürich und David Riniker)
„für Yolanda“
Das Stück behandelt auf eine direkte, fast physische Art und Weise verschiedene Grade der Annäherung und Abstossung zwischen Individuum und Kollektiv. Dabei werden vielerlei „soziologische Zustände“ evoziert, welche von Massenbildung (wo die Lautäusserung des Individuums verunmöglicht ist) über Ausbildung von Untergruppen bis zur totalen Vereinzelung reichen. Dieser stete Wechsel von Beziehungsfäden, aus welchen ein permanent changierendes Beziehungsnetz resultiert, treibt die Musik quasi von innen heraus vorwärts.
Bezüglich des musikalischen Materials gibt es Verwandschaften zu dem letztes Jahr entstandenen Streichtrio „Gehörte Form“, welches auf der Ebene der oben erwähnten „Ausbildung von Untergruppen“ bei den Streichern in Erscheinung tritt. Ein weiteres Zitat, diesmal aus „piece for cello“ zeigt das Individuum in einem Moment, wo es sich angesichts seiner Verunsicherung monologisch auf ihm Vertrautes, Bekanntes zurückbesinnt. (D.Ammann)


Wir danken herzlich für die Unterstützung: Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Fachstelle Kultur Kanton Zürich, Fondation Nestlé pour l’Art Partenariat, PRO HELVETIA, SIS Schweizerische Interpreten-Stiftung, Familien-Vontobel-Stiftung, Zürcher Kantonalbank, Radio DRS II, Gönnerinnen und Gönner

Aufnahme von Radio DRS II , Sendung am Mittwoch, 16. März 2005 21 Uhr auf DRS 2


Kleine Laudatio 25. Februar 2005 von Daniel Fueter
20 Jahre ensemble für neue musik zürich

Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebes, jubilierendes ensemble für neue musik zürich

Ein Lobgesang wäre angesagt, die Mendelssohnsche Partitur skelettiert von Daniel Mouthon, ein zwanzigfaches Happy Birthday in extreme Lagen getrieben von Annette Schmucki, ein Festspiel choreographiert von Joachim Schlömer, und was geschieht: Ein einsamer Laudator steht vor Ihnen, ringt nach Worten, schweizerische Nationaldichter wie Robert Walser und Thomas Hürlimann im Nacken. Ich besinne mich auf mein Handwerk und greife zu Bleistift und Notenpapier und schreibe eine winzige Partitur für die heute auftretende Besetzung, welche das schwer in Worte zu Kleidende wenigstens musikalisch deutlich machen soll. Ich apelliere an ihre musikalische Vorstellungskraft.
Es ist ein einigermassen zuverlässiger Weg, ein Musikstück vom Bass her aufzubauen. Das Tonmaterial ist gegeben: b-a-es-es. Also das Fundament des Geburtstagskuchenstückleins: ein viertaktiges Samba-Ostinato für zwei Celli, col legno battuto: b-a-es / es-b-a / es-es-b / a-es-es. In der grossen Oktave. Denn da ist ein grosses Geheimnis des ensembles verborgen. Die Celli flüstern leise im Bass, nebenbei und doch eindringlich vom Wesentlichen: Insistieren, am Ball bleiben, spielerisch vorwärtsgehen, unbeirrbar, bei aller Ernsthaftigkeit tänzerisch locker. Wir bleiben dran, behauptet eine Zürcher Zeitung. Das ensemble lebt den Slogan. Allen Widerständen zum Trotz.
Der Kampf ums Geld, der Krampf mit der Organisation, das Nachgreifen bei Komponistinnen und Komponisten, die zu spät liefern, all diese alltäglichen Schwierigkeiten werden gemeistert, vor Ort und im Back Office. Das ensemble ist getragen vom ostinaten Puls. Viertel 160. Das Tempo von Chopins Revolutionsetüde. Wir hier in Zürich sind unendlich dankbar für diese Energie.

Die Bratsche mischt sich ein. Spricht auch von sich: Tremolierend. Die Buchstaben T und R betrachten sich damit als erledigt, bleiben fürs Wort Bratsche also b-as-c-h-e zurück, je fünf Viertel lang. Pianississimo. Oktavierend zu den Celli ums eingestrichene c kreisend. Ein zitternder, langgezogener Melodiewurm, der sich in den Schwanz beisst. Auch eine Flaschenpost. Die Botschaft: ein stets erneuertes Erfolgsrezept. Verordnet sind: grosser Atem und stete Unruhe. Antizyklisch behauptet sich das ensemble über Jahrzehnte, mit kleinen personellen Veränderungen. Und wächst immer exemplarischer zu dem heran, was es von Anfang weg mit seinem Namen als Programm behauptet hat: zum Ensemble.
Die Vision braucht den langen Schnauf und die vibrierende, tremolierende Belebung, eine innere Unruhe, die das Bild lebendig erhält und die Erstarrung ins selbstgefällig Dogmatische verhindert. Das ist der Tenor im Gerüstsatz, der Kern. Das ist das, was wir alle hier am ensemble bewundern.
Die Geige, ge-i-ge-e, kommt dazu: Ein kleiner Forteakzent. Dann subito pianissimo. Doppelgriff: leere Saite g und die grosse Sexte e eingestrichen.
Auch das eine Selbstdarstellung. Sehr langsamer Abstrich, über sechs Takte, sul tasto beginnend, wechselnd auf sul ponticello und zurück und dabei das e um einen Viertelton Richtung eis anhebend, und wieder zurück zur grossen Sexte g-e. Aufstrich, wieder mit kleinem Akzent beginnend, dasselbe, wieder sechs Takte. Was soll das?
Der Spagat ist gemeint. Der Spagat zwischen den Stilen. Das ensemble interessiert und engagiert sich in allen Richtungen. Die grosse Sext öffnet den Raum. Zum Beispiel: Die grossen alten Komponisten der Schweizer Musik im Dialog mit eigenwilligen jungen Frauen aus aller Welt. Das ensemble lässt sich in keinen Raster einordnen. Wir alle staunen über diese Spannweite, nicht im Sinne des modischen und unverbindlich-zufälligen Cross-overs, sondern über einen Weitblick, der grosszügige und phantasievolle Akzeptanz gegenüber Musik jeglichen Zuschnitts beweist.

Ein Paukenschlag. Aber nicht banal kraftmeierisch, sondern mit asiatischem Flair. Also ein Gongschlag. Subtil in den Streicherteppich gesetzt. Das ensemble ist immer wieder für Überraschungen gut. Mit links angeschlagen. Neuentdeckungen, die Präsentation von Komponistinnen und Komponisten, die hierzulande kaum bekannt oder vergessen waren, ohne Rücksicht auf das Rating der Grosskritiker, des Feuilletons überhaupt, sind in den Programmen des ensembles gleichzeitig überraschend und die Regel. Das Netz der Musikfänger im Ensemble ist weit über alle Grenzen ausgespannt. Und selten bleibt es bei der Beschränkung auf ein Werk: Porträts werden geboten, Wiederbegegnungen ermöglicht.
Der Gongklang wird gepflegt. Also mit dem Handbecken in der rechten Hand den Nachklang durch zarte Berührungen modulieren. Und nach Lust und Laune wieder einen überraschenden, aber nicht etwa banal-mainstreamig-lauten Gongschlag plazieren, sondern einen, der das feine Gespür für das Notwendige und den dramaturgisch richtigen Moment verrät. Die innovative Programmation des ensembles macht uns riesig Spass.
Ein veritabler Paukenschlag war 1999 die Gründung des Vereins „ensemble für neue musik zürich/SZENE“. Er hallt nach, bis heute und in die Zukunft. „Nachklänge aus dem Theater“. Das Klavier beginnt zart zwei Oktaven höher als im Original Robert Schumanns Stück aus dem Jugendalbum anzutupfen.
Das Theatralische ist zwar eine alte Liebe des ensembles, aber sie bleibt erfrischend jung. Bruchstücke: Im Wechsel drei und sieben Achtel in der Chronologie des Stücks, immer von 10 Achteln Pause unterbrochen. Achtel gleich Viertel. Tempo 160. Nach acht Takten zum Anfang zurückkehren, die beiden Pedale niedergedrückt halten.
Die Fragmente klingen fremdartig in der Umgebung der Streicherklänge. Es braucht Mut, als Musiker sich aufs fremde Terrain der Szene vorzuwagen. Das ensemble hat den Mut. Es formuliert auf eigene Weise und ganz konkret, was mit Transdisziplinarität gemeint ist, und unterstreicht damit die Aktualität seiner Arbeit. Der Mut ermuntert uns alle, Ängstlichkeiten abzustreifen und ein neues Musikverständnis zuzulassen.
Der Mut hat eine Basis: das unverwechselbare Profil der einzelnen Mitglieder, die richtige Mischung von Eigenwilligkeit und Teamgeist, von Gelassenheit und feu sacré. Ein einzigartiger Cocktail, dem als wichtigste Ingredienz die Bereitschaft aller beigemixt ist, immer wieder neue Spieltechniken, neue Spielweisen, neue Ästhetiken sich anzueignen. Die Bassklarinette gibt ein bescheidenes Beispiel, gesellt sich mit den bisher nicht erwähnten Tönen der Skala f, ges, des in der kleinen Oktave im Samba-Rhythmus zu den Celli: blosses Klappengeräusch, Slap, doppel-, tripel-, flatterzüngig, mit Glissandi und was sonst zu drei Tönen alles zu sagen ist.

Uns sagt der Klarinetten-Part: jahrzehntelang haben die einzelnen Ensemblemitglieder sich immer grössere Kompetenzen im Umgang mit neuer Musik angeeignet, sich immer wieder - allen Verlockungen, ausgetretenere Pfade zu gehen, zum Trotz - neuen Herausforderungen gestellt. Kurz: Es wurde viel gearbeitet, einzeln und gemeinsam. Das verdient unsere höchste Anerkennung. Und hat auch Anerkennung weit über die Landesgrenzen gebracht. Um es marcato auszudrücken: Die Arbeit ist nicht nur transdisziplinär sondern interkontinental geworden.
Und jetzt, ausgehend vom zweigestrichenen e, und dahin immer wieder zurückkehrend und darauf ausklingend – also der Typographie des Wortes Ensemble folgend – flicht die Flöte eine improvisierte Linie in die rhythmisierte Fläche. Sie steht für die Offenheit des ensembles. Immer wieder wird – ausgehend von der Kernbesetzung - die Kooperation mit neuen Köpfen gesucht: bezüglich des Dirigates, der Inszenierung, aber auch der instrumentalen Bereicherung. Da ist keine abgeschottete Sekte am Werk, da wirkt eine Neugierde nicht nur im fachlichen sondern auch persönlichen Bereich Wunder. Und das macht berechtigte Hoffnung, dass auch die Zukunft des Ensembles von Innovationsgeist getragen sein wird. Wir alle hier zählen darauf. Damit ist die kleine Partitur fertiggestellt.

Wenn jetzt die innerlich gehörte Musik ins al niente verklingt – die Laudatio soll den Ablauf des Programms mit durchaus ernster zu nehmenden Partituren nicht unnötig lang aufhalten - , ist das kein Symbol für Rückzug, sondern für ein Atemholen in der Stille für immer neue Taten.
Die Stille gibt mir Gelegenheit vom spielerischen und etwas hilflosen Versuch, die besonderen Qualitäten des ensembles zu schildern, dezidiert, ernsten Sinnes und abschliessend zum eigentlichen Auftrag vorzustossen. Ich gratuliere in unser aller Namen. Ich habe es persönlich vor langer Zeit schon in schriftlicher Form getan und will mich nicht wiederholen. Kurz und knapp also:
Ich gratuliere dem ensemble für neue musik zürich – und damit schliesse ich alle Mitglieder der letzten zwanzig Jahre mit ein und ganz besonders natürlich auch Elisabeth Märkli, welche die Männerriege zähmt und die Fäden in der Hand hält - , ich gratuliere dem ensemble zu zwanzig Jahren erfolgreicher, im Wortsinn bedeutender Arbeit für die Neue Musik.
Elisabeths Name sei als einziger ausdrücklich erwähnt. Im Übrigen nehme ich das Wort ensemble ernst und nenne keine Namen.
Ich habe Energie und Mut des ensembles erwähnt,
ich habe der Bewunderung für langen Atem und Lebendigkeit Ausdruck gegeben,
ich habe von Phantasie und Innvationslust des ensembles gesprochen,
von der Anerkennung, die wir dem Können, aber auch dem Insistieren schulden,
vom intelligenten Genuss, den das spartenübergreifende und überraschende Wirken des ensembles am Puls der Zeit uns vermittelt
Ich schliesse, indem ich dem auch schon erwähnten Gefühl der Dankbarkeit noch einmal mit Nachdruck Ausdruck gebe.
Liebes ensemble für neue musik zürich. Deine 20 jährige Arbeit war ein riesiges Geschenk. Bitte beschenke uns weiter.

Zürich, 12.2.05 DF
9. April 2024
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